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Der Erbenermittler

Manuel Aicher (48) ist professioneller Familiengeschichtsforscher und der einzige Erbenermittler in der Deutschschweiz. Er ist Leiter der schweizerischen Zentralstelle für Genealogie und Inhaber eines Büros für Erbenermittlung und Familiengeschichtsforschung in Dietikon ZH und Berlin. Der Rechtswissenschafter hat vor 25 Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht. Er und seine drei Mitarbeiter lösen pro Jahr 10 bis 20 Erbschaftsfälle underledigen 30 Aufträge, die sich mit Ahnenforschung beschäftigen. Die Mehrheit seinerFälle umfasst Erbschaften zwischen 100 000 und 200 000 Franken. Sein grösster Fall wardas Erbe von Nina Kandinsky, der Witwe des Malers, die 1980 84-jährig in ihrem Chalet in Gstaad erwürgt wurde. Es ging um 20 Millionen Franken. Arbeitet er auf eigenes Risiko, verlangt er eine Pauschale, die je nach Aufwand zwischen 10 und 35 Prozent derErbsumme variiert. Für die Ahnenforschung interessierte sich Aicher familienbedingtschon als 14-Jähriger: Sein Onkel und seine Tante waren Hans und Sophie Scholl von der Widerstandsgruppe Weisse Rose, die 1943 hingerichtet wurden, weil sie an derUniversität München Flugblätter gegen das Naziregime ausgelegt hatten.

«Wenn Erbfälle ins Ausland führen, komme ich zum Einsatz», sagt Manuel Aicher. 10 bis 20 Erbfälle löst er pro Jahr. Oft handelt es sich um in Deutschland oder in den USA verstorbene Schweizer, deren Erben zu ermitteln sind. Im Fall der Erben von Inge Elisabeth Klöss wurde Manuel Aicher vom Berliner Nachlasspfleger beauftragt, weil aus den Dokumenten ersichtlich war, dass ihre Verwandten in der Schweiz leben.

In der Schweiz erben 178 000 Menschen innerhalb der nächsten 30 Jahre 969 Milliarden Franken, pro Jahr werden im Schnitt vier Schweizer durch Erbschaft zu Milliardären. Wohl dem, der schon zu Lebzeiten testamentarisch alles geregelt hat. Denn es geschieht nicht selten, dass ganze Familien beim Streit ums Erbe zerbrechen.

Für Veronique Züllig aus Romanshorn war das Erbe der Grosstante aus Berlin ein Geschenk des Himmels. Die 96 000 Franken hat die selbständige Anzeigenverkäuferin als Altersvorsorge auf die Bank gebracht. «Da liegt es nun und vermehrt sich», freut sich Frau, die seit 20 Jahren Woche für Woche Lottp spielt und noch nie etwas gewonnen hat. Vorgesorgt hat die kinderlose und geschiedene Veronique Züllig längst. «Ich habe mein Testament gemacht, um zu vermeiden, dass a meinem Grab ums Erbe gestritten wird.»

 

Der Fall Jean Staehli

Eine rumänische Firma sucht Nachfahren eines Bankiers - und findet Hermann Alb in Zürich. Vom Reichtum des Industriellen bleibt ihm nichts.

 

Da hatte ich eine harte Nuss zu knacken», sagt Mario von· Moos (64),

Familienforscher im Büro des Genealogen Manuel Aicher. Am 20. April 2007 landete eine Anfrage der Schweizer Botschaft in Bukarest auf seinem Tisch. «Eine rumänische Firma möchte Nachforschungen

über den früheren Besitzer ihres Stammhauses anstellen lassen. Es handelt sich hierbei um einen Bankier namens Jean Staehli (1846 bis 1918), wahrscheinlich aus Bern.»

«Wäre das etwas für Sie?», fragt der Botschaftssekretär vorsichtig an. Für Familienforscher Mario von Moos sind diese Angaben zwar vage, aber sein Berufsstolz verlangt die Lösung des Falls. «Einst war Ahnenforschung ein Privileg des Adels. Inzwischen ist die Suche nach den familiären Wurzeln ein Massenphänomen. Millionen Menschen weltweit stöbern in Kirchenbüchern und im Internet nach ihren Vorfahren», weiss der Ahnenforscher.

Zuerst harzt die Suche

Im Fall des Jean Staehli fand er schnell heraus, dass der Name in 24 Gemeinden der Schweiz vorkommt. Er forschte nach Angaben in Bankarchiven, im Wirtschaftsarchiv Basel, im Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich. Fehlanzeige - ein Bankier namens Jean Staehli tauchte dort nicht auf. Auch das Immatrikulationsregister

der Uni Bern ergab keinen Eintrag. In einem Buch über die Schweizerkolonie in Rumänien von 1931 stiess er schliesslich auf ein Bild von Jean Staehli mit einigen wenigen Angaben. Die Spur führt in den Kanton Glarus. In Bukarest taucht der Bankier immer wieder mit Glarnern auf, eng scheint der Zusammenhang zu einem Glarner Grossindustriellen namens Bernhard Klaesi zu sein. Von Moos wendet sich an Werner Murer, einen pensionierten Posthalter und Familienforscher aus dem Kanton Glarus, der das Rätsel löst. In einer Stammtafel der Familie Klaesi findet er heraus, dass zwei Töchter von Klaesi sich mit zwei Söhnen von Staehli vermählt haben. Bingo! Vier Monate nach Eintreffen der Anfrage aus Rumänien führt so die Spur zu einem der noch lebenden Ahnen: Hermann Alb ( 65) aus Zürich, Urenkel von Jean Staehli und Bernhard Klaesi.

Hermann Alb sitzt in der Wohnstube seiner Zürcher Mietwohnung. Während draussen das Tram Nr. 11 über den Hegibachplatz rattert, zeigt er Fotos von glanzvollen Zeiten seiner Vorfahren: Das palastartige Wohnhaus seines Urgrossvaters Jean Staehli in Bukarest; die spätere Villa in Zürich Enge, die bereits 1899 über einen Lift verfügte. «Meine Grosseltern haben immer von den guten alten Zeiten

in Rumänien geschwärmt», beginnt Alb zu erzählen. Grund für ihn, sich mit seiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Die Geschichte seiner Urgrossväter, die als junge Schweizer ihre Heimat verliessen, ist schnell erzählt: Der 1881 zum König ernannte Carol-1. verhalf dem Land zum Aufschwung. Dem Ruf folgten vor allem Deutsch sprechende Investoren - darunter viele Schweizer, die in ihrer Heimat kein Auskommen fanden. Jean Staehli kam im Winter 1868 nach Rumänien, Bernhard Klaesi erreichte zwei Jahre zuvor das Land. Er wurde Gründer der grössten Industrieunternehmen des Landes und war ein enger Vertrauter von König Carol. Der Erste Weltkrieg zwang die Familien dazu, wieder in die Schweiz zurückzukehren. Beide Urgrossväter verstarben 1918 an der Spanischen Grippe.

Verblasster Glanz

«Spannend, wenn man so jemand unter seinen Vorfahren hat», sagt Hermann Alb. Aber die Geschichte zeigt auch, was vom Reichtum jener Tage übrig blieb. Alb öffnet den Schrank, zeigt auf ein Essgeschirr mit Goldrand. «Das ist alles. Die Geschichte meiner Vorfahren hat gezeigt, dass man innerhalb einer Generation alles gewinnen und alles verlieren kann.» Trotzdem, und das war ihm neu: « Vom Bankhaus meines Urgrossvaters Jean Staehli habe ich erst durch das Büro des Familienforschers erfahren. Da sitzt heute die Niederlassung der Gardinenfirma Ado, welche die Goldkante zum Inbegriff ihrer Werbung machte. «Immerhin ist die Verbindung zum Gold geblieben - früher war es der Barren auf der Bank, und heute ist es die Kante in der Gardine», scherzt er.

 

Texte Ahette Wolffram Eugster

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