Die Meldung, die das Leben schrieb
Der Makler des Todes
Eine begüterte Dame, kinderlos, verstirbt, hinterlässt Villen, Aktien, Schmuck. Ein Fall für den Erbenermittler
Manuel Aicher ,der die Verwandten aufspürt- und an ihrem Erbe mitverdient.
Am 8. Mai 2002 machte Veronique Züllig einen Brief auf, überflog unter der Anrede den Text und sah Worte wie Verstorbene, Erbe und Berlin. «Der geschäftet mit dem Tod», dachte sie unterwegs zum Papierkorb, als sie ein Geistesblitz innehalten liess: «Berlin, Berlin? Dort lebt doch die Urgrossmutter?» Als sie dann den Brief las, dämmerte es ihr. Geschrieben hatte ihr Manuel Aicher, einer von zwei Schweizer Erbenermittlern: Gestorben sei Inge Elisabeth Klöss, 83, verwitwet, kinderlos, ohne ein Testament zu hinterlassen. Jedoch Aktien, Schmuck und eine Villa im Berliner Edelbezirk Zehlendorf. Davon erbe sie, Veronique Züllig, einen Achtel.
Im Jahr 2000 erbten Schweizer gut 8,5 Milliarden Franken. Liest Aicher in Amtsblättern von Erbschaften, versucht er das Vermögen des Verstorbenen herauszufinden, forscht ab 50 000 Franken nach den Erben und schreibt ihnen. Für die Auskunft, von wem sie wie viel erben, verlangt er 15 bis 35 Prozent Provision vom Nachlass. Dabei gilt: «Mehr Aufwand, mehr Prozent. Mehr Vermögen, weniger Prozent.» 80 000 Franken blieben Manuel Aicher, 48, von der Berliner Erbschaft. Meistens bearbeitet er mit seinen drei Angestellten von Dietikon ZH und Berlin aus Nachlässe um 200 000 Franken. Sein kleinster Fall lag bei 6000 Franken, der grösste bei 20 Millionen – ohne die Erben der Witwe des russischen Malers Wassily Kandinsky gefunden zu haben.
Neun von zehn Erben zahlen dem Kopfgeldjäger eine Provision, womier er seine fünfköpfige Familie ernährt. Veronique Züller, 56, zahlte 18 Prozent. «Ohne ihn wüsste ich nichts vom Erbe.» Die Inseratverkäuferin eines Reisemagazins lebt mit der Mutter in Romanshorn TG in einem Zweifamilienhaus. Einer ihrer 17 Miterben holte das Meissner Porzellan in Berlin, konnte es aber in der Schweiz nicht verscherbeln und sandte es zurück. «Im Grab würde sich die Grosstante umdrehen», sagt Veronique Züllig. Einige Miterben aus der Schweiz, den USA und Mexico sahen in Aicher den Abzocker und zahlten nichts. «Das ist Berufsrisiko, wie bei Immobilienmaklern», sagt er. Der Jurist, der jährlich bis zu 20 Erbschaften abschliesst, hat schon Kurioseres erlebt: Ein Clochard, der immer einen Einkaufswagen durch Zürich schob, hinterliess 400 000 Franken. In Deutschland blockieren Nazigesetze einer jüdischen Familie ihr Erbe. Und ein Erbe meldete sich als Erbin
- geschlechtsumgewandelt. Der Makler des Todes findet sie dank Internet, Familienregistern, Kirchenbüchern, Todesanzeigen, Staatsarchiven, Einwohnerkontrollen, Datenbanken der Mormonen, Zivilstandsämtern, Tauf- und Sterberödeln, Adressbüchern und Gerichtsprotokollen. Obwohl Behörden ihn «mit dem Datenschutzargument nur wenig unterstützen». Denn auch sie möchten erben, sind doch in der Schweiz nur Verwandte bis zu den Nachkommen der Grosseltern erbberechtigt. Sonst kassiert der Staat. Dieses «sozialistische» Gesetz sei sinnvoll, sagt Aicher, obwohl es sein Einkommen schmälert. «Wieso sollten Verwandte erben, die den Verstorbenen nicht kannten?»
Veronique Züllig, kinderlos, geschieden, die ihre Grosstante nicht kannte, hat von ihr 96 000 Franken geerbt. «Meine Altersvorsorge.» Sie hat auch ihre Totenruhe geregelt und ihr Vermögen im Testament einer einzigen Person vermacht. «An meinem Grab wird niemand ums Erbe streiten.»
Roland Bingisser