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Vielleicht doch etwas Goethe im Blut

Wer etwas auf sich hält, hat einen Stammbaum. Die Suche nach den eigenen Wurzeln führt zu Andrang bei Ahnenforschern und zu Warteschlangen in Staatsarchiven.

Von Susi Zihler

Hält sich in Ihrer Familie hartnäckig das Gerücht, um siebzehn Ecken von Goethe abzustammen? Wird Ihre Grossmutter nie müde, ihre Verwandtschaft mit dem Hochadel zu betonen? Oder liegen gar im Keller Ihrer Familiengeschichte ein paar mysteriöse Leichen begraben? Dann sind Sie ein Fall für die Ahnenforschung. Vorausgesetzt natürlich, Sie wollen die Wahrheit wissen. Und können sie auch ertragen. 

                                                                                                      

Sehnsucht nach Vergangenheit

Im Zeitalter der Digitalisierung und der grossen Völkermigrationen suchen immer mehr Menschen nach ihren Wurzeln. Sie verfolgen ihre Familiengeschichte, auch wenn wirklich sensationelle Überraschungen sehr selten sind. Davon ist jedenfalls der Ahnenforscher Manuel Aicher aus Dietikon überzeugt. Sein beruflicher 'Alltag wird geprägt von ganz normalen Anfragen. Seien dies Einstiegs-Tipps, das Aufstöbern einer längst verloren geglaubten Tante, etwas aufwendigere Stammbaumforschungen zu Opas 65. Geburtstag oder Namensrecherchen. Hin und wieder wird der Genealogie-Profi auch von Psychologen und Ärztinnen konsultiert. Dann nämlich, wenn das Leiden eines Patienten in der Familiengeschichte begründet scheint. Vor kurzem wurde Aicher - der ursprünglich Jurist ist -von einem Psychoten kontaktiert: «Der Mann hatte sich diverse Identitäten zugelegt und wollte nun Klarheit über seine Herkunft », erzählt Aicher. 

 

Betreuung für Spürnasen

Nicht immer wenden sich neugierige Familienforscherinnen an professionelle Spezialisten, von denen es in der Schweiz nur sehr wenige gibt Aicher schätzt deren fünf. Wenn es die Zeit erlaubt, wird selber in den Büchern gestöbert. Das Zürcher Staatsarchiv meldet täglich volle Lesesäle. Dort teilen sich Profis die Tische mit Hobbyforschern aller Alters und Berufsgruppen. Das Zürcher Staatsarchiv zeigt sich dabei hilfsbereit: Neulinge werden zuerst telefonisch beraten und später mit viel Geduld in die komplizierten Datenlabyrinthe eingeführt. Das grösste Problem stellt sich den Schnüfflern dann aber meist in Form der alten Schrift. Diese ist nur schwer zu entziffern, kann aber im Eigenstudium oder an den Volkshochschulen erlernt werden. Oder man nimmt Omi gleich mit ins Archiv.

 

Mormonen forschen weltweit

Zu den regelmässigen Besuchern dieser Archive zählen im Übrigen auch Angehörige der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, kurz: die Mormonen. Ihre Kirche hat sich im Besonderen der Ahnenforschung verschrieben. Und so erstaunt es kaum, dass ihre diversen Kirchgemeinden eigene Genealogie-Forschungsstellen betreiben. Rund fünf Milliarden Eintragungen aus den Zivilstandsregistern sind, so Gottfried Forster von der Forschungsstelle Herisau, auf CD gepresst worden und teilweise auch auf Mikrofilm abrufbar auch für Nichtmormonen. Ebenfalls gut organisiert haben sich angefressene Hobbyforscherinnen in diversen Vereinen.

Rund 12 genealogisch-heraldische Gesellschaften gibts in der Schweiz. 450 Mitglieder zählt zum Beispiel der Verein der Region Basel. Vom Rentner bis zur Uni-Professorin alle wühlen begeistert in ihrer Vergangenheit. Dazu Hans Kälin, Obmann dieser Vereinigung: «Wir bieten ein ideales Forum für den Daten- und Erfahrungsaustausch und lösen gemeinsam Probleme, die bei der Arbeit auftauchen können.» Nicht selten stossen Ahnenforscher nämlich auf erschwerte Bedingungen: Der Datenschutz kann an einzelnen Archiven und Zivilschutzämtern eine umfängliche Forschung verhindern. In Adoptionsfällen ist eine Rückverfolgung der leiblichen Familie beinahe unmöglich. Und ausserdem, so Kälin, erschweren die heutigen und deshalb oft chaotischeren Familienverhältnisse die Arbeit der Ahnenforscher. Unverheiratete Mütter oder Konkubinatsbabys stiften Verwirrung bei der Suche nach den Vorfahren.

 

Ahnensuche per Internet

Doch trotz der Hindernisse: Die Ahnenforschung boomt - vor allem in den USA. Dort suchen die Entwurzelten geradezu begeistert nach ihrer Herkunft, die Genealogie ist denn auch das drittliebste Hobby der Amerikaner. Vor allem via Internet wird jenseits des Atlantiks in der Vergangenheit gewühlt. Da gibts eine kostenpflichtige Website, über die man nach ausgewanderten Verwandten suchen kann (www.mytrees.com).

Hilfreich ist auch die US-Site www.genhomepage.com mit einer Unmenge von Links zum Thema Ahnenforschung und mit internationalen Adressen und Ratgeber listen. Auch in der Schweiz verzeichnen die Kennerinnen und Kenner der Szene einen langsamen, aber stetigen Zuwachs an Anfragen, wie das Zürcher Staatsarchiv bestätigt. Die Abstammung von Goethe bleibt allerdings meist nur Wunschdenken. Wahrscheinlicher ist die Verwandtschaft mit dem gut dokumentierten Hochadel.

Oder, wenn das Schicksal zuschlägt, mit einem Verbrecher. Delinquenten wurden nämlich, im Gegensatz zu normalen Bürgerinnen und Bauern, schon seit jeher genau registriert.

 

 

Die eigenen Wurzeln suchen und finden

 

â–  Klären Sie ab, ob Sie eine Ahnentafel (man geht von einer Person der Gegenwart aus und verfolgt die Generationen rückwärts) oder einen Stammbaum (man rollt die Familiengeschichte anhand einer bestimmten Person aus der Vergangenheit auf) wünschen.

Für Anfänger ist die Ahnentafel einfacher und deshalb geeigneter. 

â–  Befragen Sie Ihre Verwandtschaft, suchen Sie nach Familienscheinen und Fotos, nach jeder Art von aufschlussreichen Dokumenten, im Glücksfall sogar Stammbüchern.

â–  Wenn man da nicht mehr weiterkommt, auf dem Zivilstandesamt Ihrer Heimatgemeinde Familienscheine anfordern. Die reichen meist ein bis zwei Generationen zurück.

â–  Jetzt folgt, sofern Sie die Recherchen selbst erledigen wollen, der Gang ins Staatsarchiv (SA). Dort die restlichen Zivilstandsregister einsehen die bundesweit bis ins Jahr 1876 zurückreichen. Wer das Rad der Zeit weiter zurückdrehen will, muss im SA die Kirchenbücher konsultieren. Je nach Kanton und Konfession kann man die Familiengeschichte bis etwa 1570 zurückverfolgen. Davor verlieren sich die Spuren meist auf Grund der mageren Quellenlage, ausser bei Familien mit blauem Blut, Schriftstellern oder Leuten, die sich mit den Behörden überworfen haben.

â–  Tragen Sie die Informationen zusammen, schreiben Sie sie auf, oder füttern Sie spezielle Computerprogramme Manuel Aicher empfiehlt «Reunion» (Mac) oder «Master Genealogist» und «O-Tree» (beide Windows/ Dos).

â–  Kostenpunkt für den Einsatz von professionellen Spürnasen: 200 Fr. für eine kurze Nachforschung, 2000 bis 3000 Franken, wenn sie etwa 100 Jahre zurückreichen soll. Wer noch weiter suchen lässt, mussmit etwa 20 000 Franken rechnen.

(suz)

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